Interview mit Dario Colombo von BICE Bicycles

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Mit kaum einem Land wird der moderne Stahlrahmenbau so verbunden wie mit Italien. Nicht zuletzt durch Unternehmen wie Columbus, Deda und Colnago sowie Rahmenbaulegenden wie Dario Pegoretti. Dario Colombo trägt das Vermächtnis also bereits mehr oder weniger im Namen. Unter der Marke BICE baut er einzigartige Custom-Stahlrahmen im Norden Italiens als 1-Mann-Betrieb. Schon länger Bestand der Kontakt zu Dario und der Wunsch diesen netten Rahmenbauer mal ausführlich zu befragen. Voll Witz und Begeisterung nahm er sich die Zeit und beantwortete unsere Fragen. Das Interview wurde auf Englisch geführt, die Übersetzung stammt von uns.

Dario, du bist schon viel rumgekommen und hast schon viele Berufe ausgeübt. Als was hast du gearbeitet, bevor du angefangen hast Rahmen zu bauen?
Elektronikingenieur, Forscher, Fahrradmechaniker, Lehrer, Stadtrat. Als Kind wollte ich immer Feuerwehrmann werden.

Wie bist du zum Rahmenbau gekommen?
Setz dich, mein Sohn, das ist eine lange, lange Geschichte.
Es war einmal ein Junge, der als F&E-Elektroniker bei Siemens in Mailand arbeitete. Er wurde als Berater gut bezahlt, war aber nicht so glücklich mit seinem Leben, also verließ er am 08.08.08 seinen sicheren und stabilen Arbeitsplatz, um seinen Weg zu suchen. Er schnappte sich sein Fahrrad und radelte mit acht Freunden durch die Provence. Als er wieder zu Hause war, fasste er den Entschluss, zurück an die Universität zu gehen und Umwelttechnik zu studieren. Drei Jahre später schrieb er seine Abschlussarbeit, die auf einem mathematischen Modell basierte, um die bestmögliche Route für Radfahrer zu finden, indem die Radfahrbarkeit (Komfort+Sicherheit) maximiert wird. Er versuchte seine Arbeit der Stadtverwaltung von Mailand zu zeigen, aber wie Sie sich denken können, kleiner Leser/Zuhörer, gab es keine Reaktion. Also entschied er sich, tiefer und tiefer zum Kern seiner Leidenschaft vorzudringen, dem Fahrrad und seinen mechanischen Aspekten. Er fing an kleine Werkstätten in der Lombardei aufzubauen, in denen der Beruf des Fahrradmechanikers erlernt werden kann. Außerdem schuf er eine Fahrradstation für Pendler mit einem automatischen Parkplatz (gesegnet sei der Arduino). In der Zwischenzeit begann er zu verstehen, dass ein einfacher mechanischer Job nicht genug war, also begann er mit dem San Raffaele-Krankenhaus in Mailand in einem Labor zu arbeiten, das sich auf biomechanische Aspekte für Radfahrer und Läufer, Ernährung und Bewusstsein konzentrierte. Dieser Junge war in ein Mädchen verliebt, aber er war wirklich durcheinander mit seinem Verstand, und als sie Schluss machte, beschloss er, auf der Suche nach dem Glück noch tiefer zu graben. Und er fand den Rahmenbau.
Er fing an, im Internet nach alten Rahmenbauern zu suchen und nach den Unterschieden zwischen amerikanischen und italienischen Schulen, den Vor- und Nachteilen, der Lackierung, den Schweißtechniken, den Materialeigenschaften und -parametern, den Trägheitsmomenten der verschiedenen Formen… dann baute er seine eigene Schweißvorrichtung und sagte sich: „Wenn ich mich nicht gleich beim ersten Mal mit der Flamme verbrenne, ist das ein guter Startpunkt“.

Also gab es eine Art Erweckungserlebnis?
Für mich war das ein Weg auf der Suche nach Glück und Selbstbestimmung ohne Zwischenstopps, aber mit einigen kleinen Impulsen von Menschen um mich herum (die Geschichte davor erklärt sich von selbst. ;-)

Wo hast du gelernt Rahmen zu bauen, wer waren deine Meister?
Ich habe mir den Rahmenbau selbst beigebracht, habe dabei viele Fehler gemacht und viel Zeit und Nächte in der Werkstatt verloren. Obwohl ich Autodidakt bin, habe ich Rahmenbauern, die viel älter als ich sind, zugehört und viel von ihnen gelernt.. Mit diesen Rahmenbauern habe ich viel Zeit damit verbracht, zu reden, zu fragen und meine Gewissheiten in Frage zu stellen, um neue Weisen zu lernen und den bestmöglichen Weg zu finden. Aus diesem Grund kann man sie nicht als meine Meister bezeichnen, da ich kein Absolvent/Mitarbeiter/Auszubildender/Angestellter war, aber die Leute, die mir auf meinem Weg geholfen haben, sind: Gianni Gilardi vom Comer See, dann Preda und Stucchi (beide arbeiteten für Colnago als Auftragnehmer), Mattia Legor, Gianmaria Citron und nicht zuletzt Dario Pegoretti.

Was macht deine Rahmen besonders?
Frag meine Kundinnen und Kunden! ich weiß es wirklich nicht. Für mich ist jeder einzelne Rahmen wie eine Tochter. Also will ich das Beste für sie, sie muss schön und stark sein und die Details müssen stimmen. Aber auf der anderen Seite muss ihr neuer Freund oder ihre neue Freundin zu ihr perfekt passen. Ich habe euch alle da draußen im Blick! (lacht)

Welche Fahrradtypen baust du?
Ich glaube, ich habe alle Arten von Rahmen geschweißt oder gelötet. Angefangen habe ich mit einem 29er-MTB, um an Singlespeed-Rennen teilzunehmen. Dann bin ich zum Cyclocross übergegangen und habe, als es noch niemand „Gravel“ nannte, angefangen, Fahrräder für schnelle und nicht asphaltierte Straßen zu bauen, um sie zu fahren, wenn die Cyclocross-Saison vorbei ist. Ich habe auch viele Cargobikes und zwei Bahnrahmen gebaut (die die ersten Rahmen sind, die ich WIG-geschweißt habe). Ich denke, dass prozentual 50% Gravel, 40% MTB und 10% Rennrad sind (die im Vergleich zu den vorherigen für mich wirklich einfach zu bauen sind). Ich habe auch ein Lefty mit nur einer Kettenstrebe gebaut; ein Fahrrad mit verstellbarer Tretlagerhöhe, um die Geometrie massiv zu verändern, wenn das Kind größer wird. In dieser Liste fehlen: BMX, vollgefederte Fahrräder, Dirt- und Balance-Bikes und vor allem… gemuffte Rahmen (ich gebe zu, dass ich mit Muffen gearbeitet habe, aber ich habe nie einen kompletten gemufften Rahmen gebaut).

Warum schweißt du deine Rahmen anstatt zu löten?
Ich habe mit Fillet-Brazing angefangen, weil es die beste Option für MTB-Rahmen mit überdimensionierten Rohren und Verbindungswinkeln war, die Muffen nicht abdecken können. Als ich mich bereit fühlte, bin ich sofort zum WIG-Schweißen übergegangen, weil Schweißen stärker ist als Fillet-Brazing und weitaus sicherer (wenn man es richtig macht). Fillet-Brazing sieht besser aus, aber es ist eine Menge Arbeit, die Übergänge zu feilen. Also habe ich angefangen, WIG-Schweißtechniken zu studieren, um eine Schweißnaht ohne Wellen zu erhalten, wie eine dünne Lötstelle. Und nur um das klarzustellen: meine WIG-Schweißnähte werden überhaupt nicht gefeilt. Ein durchgang, eine Schweißnaht!

Deine Schweißnähte sind so flach, dass sie unterm Lack zu verschwinden scheinen. Was machst du anders als andere?
Ich habe Zeit damit verbracht, WIG-Schweißen zu üben, mit meiner Maschine zu üben (Ändern der Parameter und Handbewegungen, Koordination zwischen Fuß für das Pedal, rechter und linker Hand für die Drahtzufuhr) und mich zu fragen, wie ich meine Arbeit verbessern kann. Und wie immer frage ich andere, wie sie es machen und warum, vergleiche ihre Arbeit mit meiner und versuche, ihr Qualitätsniveau zu erreichen.

Welches ist dein Lieblingsrohrsatz und welche anderen Rohre verwendest du für deine Rahmen?
uhhh, ich habe keinen Lieblingsrohrsatz, weil ich von Anfang an die Rohrsätze gemischt habe, um die Qualität des Rahmens zu verbessern, basierend auf den Bedürfnissen des Radfahrers, der Körpergröße und dem, was er mit dem Fahrrad machen will. Eigentlich habe ich zu ca 90% Columbus und zu 10% Deda-Acciai verwendet. Ich verwende bisher keinen Edelstahl. Um den Rahmen zu schützen, verwende ich eine Elektrophorese-Behandlung und Rostschutzsprays.

Wie ist der typische Kaufprozess bei dir? Wie bekommt jemand einen Rahmen von dir?
Ihr könnt mich auf Singlespeed-Rennen finden oder ihr könnt mir per Mail oder Instagram oder Whatsapp schreiben. Aber nur um klar zu sein: in jeder dieser Situationen kann ich entweder innerhalb 30 Sekunden antworten oder bis zu einer ganzen Woche dauern. Es tut mir leid, aber ich habe nur ein Gehirn (das gewartet werden muss) und der Tag hat nur 24 Stunden. Und ich muss die Rohre vorbereiten, schweißen, lackieren, pinkeln, essen, fahren, schlafen und so weiter und so fort. Einmal habe ich einen Kunden verloren, weil ich ihm nach sechs Tagen geantwortet habe. Wenn ich auf den Bildschirm schaue, kann ich nicht schweißen, und ich bevorzuge es, zu schweißen. Im Moment beträgt die Vorlaufzeit sechs Monate, und der Prozess beginnt mit vielen Fragen meinerseits, um die Bedürfnisse der Radfahrerin / des Radfahrers zu verstehen. Dann schlage ich ein Modell vor, das den Hauptbedürfnissen und der idealen Einstellung des Fahrrads entspricht (Vorbaulänge, Reach, Sattelstützen-Dropper oder nicht, Boost oder nicht usw.). ). Dann bitte ich den Radfahrer / die Radfahrerin, mir die Maße zur Verfügung zu stellen (von Biomech, von seinem / ihre vorherigen Fahrrad oder indem er / sie in meine Werkstatt kommt, um Maße zu nehmen). Dann erstelle ich eine erste Zeichnung als Ausgangspunkt, um zu besprechen, wie man die benötigten Eigenschaften verbessern kann, ohne Kompromisse eingehen zu müssen, welche Komponenten montiert werden und wie die Rahmengeometrien basierend auf ihnen variieren, dann sprechen wir über die Lackierung und wenn alles in Ordnung ist, kann ich mit dem Bau des Rahmens beginnen. Das ist ein langwieriger Prozess, der parallel zu früheren Projekten für andere Radfahrer läuft, und deshalb dauert er 6 Monate!

Wie entwickelst du deine Lackdesigns?
Gute Frage… 2018 habe ich mein Bice-Logo von Jugendstil zu einem minimlistischeren Stil geändert. Daniele und Jessica von OfficineSfera haben mir bei dieser Arbeit geholfen und auch bei der Erstellung neuer Lackschemata für jedes Modell. Auf diese Weise habe ich ein gut getestetes Farbschema, das Kundinnen und Kunden zur Verfügung gestellt werden kann und ihnen hilft, ein Modell von einem anderen zu unterscheiden. Es gibt aber auch die Möglichkeit, nach einer kundenspezifischen Lackierung zu fragen; in diesem Fall können die Kunden ihre Ideen einreichen, Daniele macht dann ein Mockup und ich und der Lackierer arbeiten dann daran, das endgültige Ergebnis zu erhalten. Außerdem habe ich eine neue Art der Lackierung entwickelt, um eine hohe Qualität und Härte zu erreichen, die wirklich nützlich für MTB und Gravel-Bikes sind, wo Dreck, Äste, Felsen und was auch immer den Lack zerkratzen können. Dies ist eine ausgehärtete dreifache Beschichtung. Während man bei Acrylfarbe unendlich viele Möglichkeiten an Farben und Farbschemata hat, sind die Möglichkeiten hier auf RAL-Farben und verchromte+farbige Farboptionen (nicht mehr als 10 Farben) mit nur kleinen und einfachen Grafiken beschränkt. in diesem Fall verfolge ich den Lackierprozess selbst, so dass ich eine hohe Glanz- und Detailqualität auch mit einer ausgehärteten Beschichtungstechnik erreichen kann, die bisher nur für ihre Härte und nicht für Ästhetik bekannt war.

Was war bisher deine größte Herausforderung im Rahmenbau?
Meine größte Herausforderung ist es, mehr Zeit mit dem Fahren meiner Fahrräder zu verbringen als jetzt! Ich habe eine Menge Ideen, die auf 3D-Drucktechnik basieren! Und einige Ideen, um einen Standard zu schaffen, der es Biomechanikern/Rahmenbauern/Mechanikern ermöglicht, miteinander über ein bestimmtes Fahrrad zu sprechen, ohne Zeit zu verschwenden. Ich habe einige Ideen, um die Steifigkeit des Rahmens zu verbessern und vor allem möchte ich meine Lackierfähigkeiten verbessern. Ich muss eine Vorlage für jeden Radfahrer erstellen, denn im Moment wird jede Notiz auf Papier geschrieben und ich bin ein chaotischer Junge, so dass ich manchmal den Kunden zurückrufen und um einen kompletten Lebenslauf bitten muss! (lacht) Ich arbeite an einer Maschine zum Nachschneiden des Sitzrohrs, aber ich habe nicht so viel Zeit, aber ich brauche diese Maschine, weil jedes Sitzrohr, dass ich von Hand nachbessere, schickt mich jedes Mal fast zum Psychater!

Was war dein herausragendster Rahmen (falls es einen solchen gibt)?
Man darf nicht fragen, welche die Lieblingstochter eines Vaters ist. Aber es gibt einige Meilensteine: sicherlich ist das Wandrian auf der Radavist-Website einer davon: mit diesem Fahrrad habe ich allen gesagt: „Jungs und Mädels, meiner bescheidenen Meinung nach ist die Zukunft 29er Gravel, vertraut mir seit 2018! Ein weiterer Meilenstein ist der Verona CXSSWC2017, den Fagia auf meinem Fahrrad gewonnen hat. (Fagia und Ingrid waren wirklich wichtig für mich, denn dank ihnen habe ich das Konzept hinter dem Wandrian 29er Gravel entwickelt – das soll nur daran erinnern, dass die Verbindung zwischen Menschen wirklich wichtig ist). Jedes fahrrad ist schön für mich, also gibt es keine Ausnahmen! Und das ist der Grund, warum ich nicht mehr als 50 Rahmen pro Jahr machen kann, denn ich möchte Zeit mit meinen Rahmen verbringen und sie aufwachsen sehen und gute Erinnerungen an sie und meine Gefühle während des Entstehungsprozesses haben.

Zum Abschluss: Wofür steht eigentlich Bice?
Bice ist ein Bauernhof neben meiner Werkstatt, auf dem ich früher den Nachmittag verbracht habe, als ich jung war. Bice ist auch die Kurzform des weiblichen Namens von Beatrice. Und außerdem kann man /bitʃe/ auf italienisch oder /baɪs/ auf Englisch sagen, wie die Farbe (Beige).

Danke für das unterhaltsame Gespräch!

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