Der folgende Text ist ein Gastbeitrag von Fabian Baum, der letztens auch freundlicherweise die Bilder von der an seinem Surly Krampus angebrachten Safety-Pizza zur Verfügung gestellt hat.
Die Legende vom Dorfschmied
Da war er nun – der erste richtige Schaden an einem Rahmen.
Der erste richtige Schaden am Rahmen – kein Kratzer, keine fast unsichtbare Delle, kein Schönheitsfehler. Kein Riss, sondern gleich derer zwei. Im Sattelrohr des absoluten Lieblingsbikes. Der geliebten Krampe. Treues Gefährt, treuer Gefährte, ein Rad, bei dem ein Gang in den Keller und ein Blick darauf genügten, um einen furchtbaren Tag zu vergessen, das Kopfkino anzuwerfen und sich mit einem imaginären Eimer Popcorn in der Gedankenwelt bequem zu machen. „Wo ist man nicht schon überall damit unterwegs gewesen…und wo möchte man damit noch überall unterwegs sein!“
Und jetzt, draußen auf dem Hometrail steht man da, in der trockenen Dezemberkälte, blickt auf diese zwei Risse, aber: von Trauer keine Spur. Eine kaputte Felge oder ein Kettenriss hätten mich damals mehr gewurmt als der Schaden am Rahmen. Immerhin ließ sich das Rad so wenigstens noch fahren.
Also vorsichtig wieder aufs Bike, zur S-Bahn und mit der S-Bahn zum Bikeshop des Vertrauens. Davo, der Inhaber, war mit den Jahren nicht nur zu einem Freund, sondern auch ein Rahmenbauer mit eigener Werkstatt geworden. Bevorzugtes Rahmenmaterial? Stahl. Daran, dass er das Bike reparieren würde, bestand zu keinem Zeitpunkt auch nur der geringste Zweifel. Das defekte Rad zu ihm zu bringen fühlte sich an, wie mit einem platten Reifen nach einem Schlauch zu fragen. Er begutachtete den Schaden, erklärte, wie er ihn beheben werde, ein Abend für die Reparatur wurde vereinbart. Das Rad blieb im Laden und es ging mit der S-Bahn nach Hause.
Auch während der Wartezeit bis zum vereinbarten Reparaturtermin stellte sich die Frage nie, ob das jetzt die letzte Ausfahrt mit dem Bike gewesen war. Am Tag der Reparatur ging es nach der Arbeit zu Davo in die Werkstatt. Er hatte die beschädigte Stelle bereits entlackt und das Rad im Montageständer fixiert. Das Rad war komplett, nur der Sattel samt Stütze und das Hinterrad fehlten. Dass hier gleich ein Eingriff stattfinden sollte, der über Wohl und Wehe eines Bikes und über die Fortsetzung oder das Ende einer längst emotional gewordenen Beziehung entscheiden würde, ließ sich einzig an der blanken Stelle am Sattelrohr erkennen. Das Hinterrad hätte ebenso gut im Zentrierständer stecken können, um einen kleinen Schlag zu beseitigen.
Davo begann mit der Reparatur, erklärte mir jeden einzelnen Schritt und ich fotografierte das Ganze. Nach knapp zwei Stunden und einem gemeinsamen Kaffee fuhr ich wieder nach Hause. Auf meiner reparierten, meiner geliebten grünen Krampe. Beim späteren Betrachten der Bilder fiel mir auf, wie dreckig das Rad eigentlich war. Ich hatte es genau so dreckig nach Hause gefahren, wie ich es abgeliefert hatte. Im Grunde genommen war die Reparatur des Rahmens nichts weiter als ein Boxenstopp.
Wenn ich die Geschichte der Reparatur erzähle, löst dies mitunter Kopfschütteln aus und es kommen Dinge wie „Und damit fährst du noch? Ich hätte kein Vertrauen mehr in den Rahmen!“
Ja, das Verhältnis zum Rahmen hat sich dadurch verändert, aber in die entgegengesetzte Richtung. Ich habe nun noch mehr das Gefühl, dass es mein Rahmen, mein Rad ist. Mein Rad aus Stahl. Treues Gefährt, treuer Gefährte.
Und kommt die Frage, wieso an dieser einen Stelle der Lack fehle, antworte ich mit einem Lächeln: „Ach, das? Das war nur ein Kratzer.“
Stahl ist ein archaischer Werkstoff. Salopp gesagt genügen etwas Metall und Feuer, um etwas daraus entstehen zu lassen. Diese Simplizität ermöglicht es eben auch dem im Titel erwähnten Dorfschmied, Neues zu erschaffen oder Altes zu erhalten. Stahl zu fahren bedeutet auch, sich zur Nachhaltigkeit zu bekennen und eventuelle sichtbare Reparaturen nicht als Makel, sondern in mehrfacher Hinsicht als ein Stück Geschichte zu betrachten – sowohl ein Stück der eigenen, ganz persönlichen Geschichte als auch ein Kapitel einer langen, fortwährenden Geschichte, die vor etwa 4000 Jahren mit etwas Metall und Feuer ihren Anfang nahm.
Man könnte also durchaus behaupten: Wer Stahl fährt, entscheidet sich, angesichts einer immer schneller rotierenden Industrie, mit immer kürzer werdenden Produkt- und Entwicklungszyklen, für Entschleunigung und Zeitlosigkeit.
Hinweis:
Bei dem reparierten Rahmen handelt es sich um einen, der aus einer kleinen Vorserie stammt und so nie in den Handel kam. SURLY hat das Design des Klemmschlitzes für die Serie angepasst, nachdem es bei einem frühen Prototyp ebenfalls zu einer Rissbildung im oberen Bereich des Sattelrohrs kam. Der reparierte Rahmen entspricht bis auf die Farbe und das Ausfallende dem hellblauen Rahmen aus diesem Beitrag im Surly-Blog: https://surlybikes.com/blog/2017_krampus_updates_or_if_you_lived_here_youd_be_home_by_now2
Vielen Dank an Fabian für diesen tollen Beitrag zum Thema „Mythos Dorfschmied“.
Er fährt zwar nicht aussschließlich Stahl, aber vielleicht wollt ihr den Kerl trotzdem ein wenig auschecken: Fabian aka kurbelfurbel bei Instagram
Und wenn wir grade ein wenig Werbung machen: Der Reparateur Davo ist Eigentümer von Gutenbiken in München, baut aktuell nur im „inner circle“ Rahmen, ist mir aber seit einigen Jahren wohl bekannt. Sein Laden ist in jedem Fall eine super Adresse für Stahlrahmen, Reparaturen und Aufbauten im Herzen der bayerischen Hauptstadt.
Ansonsten habe ich selbst auch schon einige Räder unter meiner Tätigkeit bei Portus Cycles wiederhergestellt und die ein oder andere Notreparatur hält nun schon Jahre, sodass die Totgeglaubten meist länger leben, als man denkt.
Von welchen Wiederbelebungen könnt ihr berichten?
Peter Buschman sagt:
Mein Freund hat eine kaputte Felge, die sehr teuer war. Es ist gut zu wissen, dass es noch Schmiede bzw. Werkstätten gibt, die sich auf die Reparatur von Felgen fokussieren. Hoffentlich findet mein Freund eine Firma die das auch hinbekommt. https://www.reifen-seibold.at/de/1180-wien/