Von Gewicht, Geschwindigkeit und Geschwätz

Einen interessanten Beitrag im Blog der Kollegen von der Rad-Spannerei in Berlin nehme ich zum Anlass, um noch Mal meine Meinung zum Thema „Geschwindigkeit“ bzw. „Gewicht“ von Stahlbikes und im Besonderen zum Thema „Diskussionskultur“ kundzutun.

Im Beitrag wird auf einen kleinen Selbstversuch hingewiesen, bei dem Dr. Jeremy Groves die tägliche Strecke von 43 km zur Arbeit nach dem Zufallsprinzip mit einem Carbonrad (9,5 kg) und einem Stahltourer (13,5 kg) unternahm. Das Ergebnis: Im Untersuchungszeitraum lag die gefahrene Zeit pro Fahrt mit dem Carbonrad im Schnitt rund 32 Sekunden unter der mit dem Stahlrad.

Das ist natürlich keine repräsentative Studie, wenn ich auch mit meinem Nöll-Trekkingrad und meinem mindestens 1,5 kg leichteren Stahl-Rennrad auf meiner 50 km Hausrunde ähnliche Erfahrungen mache. Interessant finde ich vor allem aber die Reaktionen, die solch ein Beitrag auslöst. Im Blog wird von einigen Kommentatoren sofort versucht, dieses Ergebnis zu zerpflücken und in ein angeblich „objektives“ Licht zu rücken. Und das in einem Ton, als ob man davon persönlich angegriffen werden würde und die Welt vor einer arglistigen Täuschung geschützt werden müsste.

Das ist leider die Art von Diskussionskultur, die gerade auch in Radforen (nicht nur) beim Thema „Stahl“ immer wieder zu finden ist. Es ist eben keine Diskussion, sondern ein scheuklappenartiges Festnageln der eigenen Meinung, die keinen Widerspruch duldet. Das ist peinlich. Und arm. Und erinnert an Parteitage oder Stammtische, bei denen jeder die Wahrheit für sich gepachtet hat.

Warum kann man unbestreitbare Fakten wie die aus einem solchen unwissenschaftlichen Versuch nicht einfach stehen lassen? Warum muss man etwas relativieren, das gar keinen Anspruch auf Absolutheit erhebt und im gleichen Atemzug selbst puren Absolutismus verbreiten?

Warum kann man konkret auch nicht einfach anerkennen, dass Geschwindigkeit nur dann ein objektives Maß ist, wenn man Rennen fährt und sich selbst und andere an der erzielten Geschwindigkeit misst? Oder dass Gewicht nur eine Rolle spielt, wenn man ihm eine Bedeutung beimisst und sich mit anderen vergleichen will. Wahrscheinlich, weil man seine eigene kleine Meinung zum Maßstab für Andere erhebt. Auch das ist peinlich und arm. Und leider nicht nur in Rad-Foren weit verbreitet.

Anders gesagt: den privaten Test von Dr. Groves kann man interessiert zur Kenntnis nehmen, sich vielleicht bestätigt fühlen oder man lässt ihn einfach so stehen. Wenn Radfahren purer Genuss und Spaß das einzige Maß ist, haben die objektiv gemessene Geschwindigkeit und auch ein paar objektive Gramm mehr ohnehin keine Bedeutung. Denn dann ist alles subjektiv. Und das ist es zumindest für mich, worauf es ankommt.

Für viele andere ist es das nicht. Auch gut. Man könnte ja Mal darüber diskutieren. Wenn man kann.

0 Kommentare zu “Von Gewicht, Geschwindigkeit und Geschwätz

  • Gerne. Das ist auch der Grund, warum ich Rad-Foren meide. Aber im Grunde ist das einfach nur ein kleiner Ausschnitt aus „Wir sind Deutschland“. So what, es gibt ja noch andere Plätze, um sich zu unterhalten ;o)

  • Hallo Iwo, ich meide die meisten Radforen eher wegen der Sprache bzw. Schrift, die dort „gepflegt“ wird. Selbst sicherlich kein Meister der Grammatik (Veidt, 6, setzen), kriege ich immer eine echte Kriese ob der inziwschen üblichen Ausdrucksformen. Wahrscheinlich bin ich zu alt. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch der von Dir angesprochene Artikel. Ich erkenne mich da durchaus wieder, vor 20 oder ähnlich vielen Jahren. Damals noch emotional anders mit dem Rad und dem Radfahren verknüpft und weniger Substanz als heute (Erfahrungs :-) und Bauch :-( -technisch). Wenn ich so bedenke, welchen Unsinn ich da manchmal verkündet bzw. verteidigt habe, oh je! Und auch ganz neutral, über welchen Unfug man sich so den Kopf zerbrach… Gelegentlich ist es ja auch ein Zeichen von Leidenschaft (die mit Eifer sucht, was Leiden schafft), sich so in etwas reinzuknien. Manchmal braucht es etwas Distanz, um anders mit anderen Ansichten umzugehen. Solange es keinem anderen wirkt schadet, sondern nur dem Eindruck, den andere von einem selbst haben, tut es keinem weh.. Und öfters gibt es dafür eine zweite Chance.

  • Hey Thomas,

    ich habe auch nichts gegen andere Meinungen und schon gar nichts gegen leidenschaftliche Vertreter derselben. Aber man kann auch leidenschaftlich eine Meinung äußern, ohne dabei rechthaberisch und letztendlich intolerant Schwarz-Weiß zu sehen. Das geht mir auf den Keks. Nicht nur bei Radlern.

    Aber trotzdem glaube ich noch an das Gute im Rad-Experten ;o)

    Viele Grüße
    Iwo

  • Danke für den Beitrag, ich muss dir Recht geben, in Bezug auf die Foren, in Bezug auf die Umgangstöne. Ich selbst lese in den meisten Foren nur, habe allerdings auch schon erlebt, dass das in manchen Foren ungern gesehen wird, wer nichts schreibt, fliegt. Aber das ist ein anderes Problem, deshalb immernoch eine sehr gute Stellungnahme.

  • Sehr sinnvoller Beitrag. Mich stört vor allem auf welche Art und Weise Menschen der Spaß am eigenen Rad genommen wird.

    Schöner Blog übrigens

    Gruß

    Matze

  • Wir nehmen uns und unsere Ansichten halt immer zu wichtig. Allerdings geht es mir auch häufig so: wenn ich solche Artikel lese, möchte ich das „richtigstellen“. Gerade im Bereich Radfahren wird mehr geglaubt als gewusst. Und noch weniger bewiesen. Stichworte: Gewicht, Bremse am Fixie, Helm. Und und und …
    Nachdem ich einen Artikel zur zitierten Studie gelesen hatte, habe ich dann doch erst einmal durchgeatmet und die Studie angesehen. Und dann das „Augenzwinkern“ bemerkt. Um der Studie gerecht zu werden habe ich diese daher in meinem Blog nur zitiert, aber nicht kommentiert. Mag sich jeder dazu denken, was er will.
    Dass im Blog der Radspannerei dazu mit der bekannten „deutschen“ Ernsthaftigkeit diskutiert wird war eigentlich zu erwarten ;-)

  • Den Blogbeitrag hatte ich schon vor einigen Tagen gelesen und darüber geschmunzelt und überlegt, welche Wogen er in einschlägigen Medien und Foren schlagen wird. Vielen Dank daher dafür, daß Du mich nochmal auf die Kommentare aufmerksam gemacht hast, ich habe es genossen ;-) sie zu lesen.

    Gruß H.

  • Im Grunde lasse ich jedem seine Meinung. Aber irgendwann platzt sogar einem Geduldsengel wie mir der Kragen.
    Aber jetzt ist alles wieder gut ;o)

  • Dein Beitrag – wunderbar!
    Ich bin also nicht alleine auf dieser Welt wenn ich durch die Foren lese und mich wundere, über was sich die Menschen dort echauffieren, sich streiten oder sich wegen sonstigen Kleinigkeiten heiß reden… nenene. Andere Meinungen gelten schlichtweg schon mal gar nicht. Womöglich noch von einem „Neuling“… nenene!
    Ich für meinen Teil denke mir: Jungs, geht doch einfach raus und fahrt Rad!

    Ob der Lenker jetzt 1,75 Gramm mehr oder weniger wiegt, der grüne Steuersatz nicht ins Gesamtbild passt, oder der Reifen XY bei 92 km/h auf einer Wurzelpassage schwammig wird… sorry.

    Einen guten Flow und ein gutes Gefühl – mehr brauch ich nicht! Egal wie die Kiste aussieht, sich fährt, bestückt ist, oder was auch immer wichtig zu sein scheint.

    Gruß – Ralph

  • Weder war ich überrascht, noch ist mir der humorige Aspekt entgangen.

    Aber ich muß zugeben, dass ich meinerseits Spaß an diesen Debatten habe und sie auch in Maßen für gesund halte.

    Im Widerstreit der vielen Mythen und Legenden, der wohlfeilen Sprüche der Marketingabteilungen und der ernüchternden Physik, liegt dann doch ein brauchbarer Fingerzeig für einen „aufgeklärten“ Konsumenten. Ganz nutzlos ist es nicht.

    Wobei man natürlich gewahr sein muß, im Zweifel gegen „Glaubenssysteme“ zu argumentieren.

    Hatte vor kurzem auch ein „Streitgespräch“ mit jemandem prinzipiell vernunftbegabten, der seinen schönen Stahlrenner gegen eine „Alu-Möhre“ eintauschen wollte und partout nicht davon abzubringen war, dass er mit den mutmaßlich 2kg weniger Gewicht „schneller“ wäre. ( !! nicht bierernst gemeint, keine Debattengrundlage und derjenige, der gemeint war, weiß es…………….!!!!)

    Die Diskussion ist ergebnislos zu Ende gegangen und ich glaube wir grüßen uns immer noch.

  • Wie gesagt: nichts gegen Debatten und Diskussionen. Aber diese Rechthaberei unter dem Deckmantel objektiver Kriterien geht mir ziemlich auf den Keks.

  • DANKE Iwo, und den anderen Menschen die denken können. Ich kann mich nur anschließen. Genau diese Gründe waren für mich ausschlaggebend, dass ich, z.B. das Tourforum, sofort wieder verlassen habe.
    Mir ist es völlig egal ob jemand meine Radaufbauten gut findet oder nicht, jemand mit Rennmaterial schneller ist oder nicht – wen stört`s?
    Ich akzeptiere jede Form von „das macht MIR Spaß“ und „ICH will das so“. Na bitte – nur zu.
    Ich genieße eine Radfahrt jetzt ganz anders also vor 20 Jahren. Eher die warme Luft und die Abendsonne – als den 35er Schnitt. Ich bin frührer zwischen 8 und 10tausend Kilometer im Jahr gefahren ( ohne je an Rennen teilzunehmen) – ich wollte nur Kilometer machen. Jetzt eben nicht mehr. Jetzt betreibe ich maximalen Aufwand mit geringstem Nutzen – und freue mich darüber. Gewicht des Rades? ja, ICH habe 3 Kilo abgenommen, Zeitersparnis auf dem Weg zur Arbeit – Shit, habe an der Ampel wieder der süßen dunkelhaarigen nachgeschaut und bin glatte 45 Sekunden zu spät auf der Arbeit gewesen. Also – take life as you want – oder so!

    Gruß Andreas

  • So nach dem Lesen von diesem Beitrag den ich durch Zufall auf der Suche nach „Gewicht Bergmeister Bikes“ gefunden. Und ich vermissen im Beitrag und sowohl auch in dem Kommentaren etwas Sachlichkeit bzw Fakten. Ich versuchs mal :-)

    1) Das Gewicht des Rahmens ist nur 1 Faktor unter vielen. Alle anderen Teile in Summe machen ein Vielfaches des Rahmengewichtes aus. Ich hab schon Stahlbikes gesehen, die um 3-4 KG leichter waren als irgendwelche überladenen Alumonster mit 397 Gängen und Brauereipferdsattel

    2) Ein sehr wichtiges Gewicht ist auch das „drehende“ Gewicht, das wird von vielen verwechselt, bzw nicht erkannt. Wie richtig gesagt sind durch einfaches eigenes Abspecken oder weglassen von unnötigem Gepäck auch schnell mal 5,6 KG weggespart. Gleichzusetzen mit dem Gewicht des Rahmens und der fest montierten Teile. Was aber überhaupt nichts mit dem Gewicht der Laufräder zu tun hat. Hier lohnt es sich viel mehr aufs Gewicht zu schauen und ruhig mal ein paar Mark mehr zu investieren. Thema Drehbeschleunigung beim Anfahren.

    3) Und zum Selbstversuch – auch der verrät leider nichts über den einzig relevanten Faktor, der aus Gewicht ein „Langsam“ oder „Schnell“ macht. Die Anzahl der Beschleunigungsphasen auf der Gesamtstrecke. Auf einer komplett gerade Strecke ohne Zwischenstopp bin ich mit einem 100 kg Fahrrad genauso schnell wie mit einem 5 KG Gerät. (Nachdem ich mal beschleunigt hab – und vorrausgesetzt, das Mehrgewicht steckt nicht in den Laufrädern sondern nur im Rahmen/den Anbauteilen. Beim Beschleunigen jedoch fällt das Gewicht voll ins Gewicht sozusagen :-)

    Unterm Strich läst sich wohl sagen, dass es einfach auf das ankommt, was man mit einem Rad so täglich anstellt. Ich kann mir zb nicht vorstellen dass der Tester von oben die 43 km täglich durch eine Innenstadt gefahren ist mit Ampeln alls 200 Meter (das müsste ja schon Mexiko City oder Tokyo sein) – wenn man (wie ich) allerdings jeden Tag 10 km hin und 10 km zurück mitten durch die Berliner City muss – von Ost nach West – dann sind auf der Strecke gezählte 26 Ampeln. Und hier macht ein Gewichtsunterschied von zb 2 KG auf jeden Fall mehr als 30 Sekunden aus :-)

    Aus dem Grund fahr ich im Alltag ein seelenloses sündhaft teueres Hightechgerät mit Federgabel, Rennkomponenten und Alurahmen. Fürs schöne cruisen steig ich am Wochenende dann um auf ein schönes altes Schneider Stahl-Gerät aus den späten 70ern, dass ich mit einigen neuen Komponenten wieder alltagstauglich gemacht hab. Der Originallack – so zerschlissen er auch ist, ist draufgeblieben!

  • Viele vergessen hier, dass es (in der bisherigen Geschichte) nicht die Diskussionskultur war, die für viele relevante technologische Verbesserungen gesorgt hat. Die deutsche Ingenieurskultur des „alles ganz ganz genau wissen wollen“ hat eben auf der sozialen Seite ihre Defizite, man nimmt sich selbst ebenfalls zu ernst. Das sollte man berücksichtigen. Diskussionen sind von Natur aus schwierig. Wer aber diffamieren möchte, sollte es vielleicht wieder mit dem 40-Kilo Hochrad probieren.

  • Martin Philippi sagt:

    tolle Diskussion, hatte 1Jahr 1 Bike mit Alurahmen, wurde geklaut. Hab noch was drauf gelegt von der Versicherung, und Karbon gekauft. Was war, wieder geklaut. Hatte im Keller noch ein altes Raleigh Road Ace 14-Gang Shimano, bisschen renoviert, möglichst original gelassen. Kein Rost, Originalack, Technik top, Gewicht knapp über 10 kg, bin jetzt mit dem Stahlrad seit 2 Jahren unterwegs und bin kaum langsamer unterwegs. Und es will keiner mehr klauen.

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